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Hans-Werners Unsinn

 

Im Grunde genommen ist die Welt von Hans-Werner Sinn, seines Zeichens Präsident des Münchner Ifo-Instituts, ganz einfach, und er legte sie vor wenigen Tagen unter anderem auch auf dem Sender Phoenix in der Berliner Phoenix Runde dar: Die Gewerkschaften haben in den letzten Jahren zu hohe Lohnsteigerungen durchgesetzt (daß die Arbeitgeber auch an den Tarifverhandlungen beteiligt waren und dem letztlich auch zugestimmt haben, verschweigt Sinn), die letztlich gerade im Bereich der sogenannten »gering Qualifizierten« zu hoher Arbeitslosigkeit geführt haben, weil hier keine »markträumenden« Löhne mehr gezahlt werden könnten. Ein übriges, so Sinn, täte die Sozialhilfe, die ebenfalls einen zu hohen Mindestlohn festzurre, der verhindere, daß die Empfänger von Lohnersatzleistungen zu »markträumenden« Löhnen arbeiteten.

Die Ideologie, die in den Ausführungen Sinns zum Ausdruck kommt, trägt in den Diskussionen verschiedene Namen wie zum Beispiel Neoliberalismus, Neoklassik oder angebotsorientierte Politik. Sie meint jedoch stets das selbe: Nach dieser Ideologie ist der Arbeitsmarkt ein Markt wieder jeder andere, der nur durch Angebot und Nachfrage gesteuert wird. Ist das Angebot an Arbeit zu hoch, beziehungsweise die Nachfrage nach Arbeit zu bestehenden Preisen (Löhne) zu gering, müssen die Preise (Löhne) sinken, und zwar so lange, bis ein sogenannter »markträumender« Preis erreicht ist, zu dem die Arbeitgeber in dem Ausmaß einzustellen bereit sind, daß die Arbeitslosigkeit beseitigt wird.

Das bedeutet, daß die Löhne so weit sinken müssen, daß es für die Arbeitgeber lohnenswert ist, Arbeitskräfte einzustellen. Dabei darf es keine Regulierung oder Eingriffe von außen geben, noch weniger darf es Mindestlöhne geben, die verhindern, daß Menschen zu »markträumenden« Löhnen arbeiten, weil dies - entsprechend der Ideologie - dazu führt, daß die Nachfrage nach den im Marktmaßstab zu teuren Arbeitskräften nicht stattfindet und Arbeitslosigkeit entsteht. Wer nicht bereit ist, eine Arbeit zu markträumenden Löhnen anzunehmen, ist in den Augen der Neoklassiker »freiwillig arbeitslos«, denn er hätte ja die Möglichkeit, zu »Marktlöhnen«.

Unausgesprochen steht jedoch hinter dieser Idee, daß derjenige, der Arbeit anbietet, in der Lage ist, dies zu jedem Preis zu tun, den der Markt fordert. Daß die überwiegende Mehrzahl der Menschen darauf angewiesen ist, im Ergebnis ihren Lebensunterhalt aus abhängiger Beschäftigung zu bestreiten, und daß sie eben bei den Löhnen nach unten nicht unbegrenzt flexibel sind, wird ausgeblendet.

Diesen Aspekt rückt Hans-Werner Sinn jedoch mit seinem Kombilohn-Modell wieder in die Betrachtung. Um nicht gar so unsozial zu erscheinen, fordert Sinn zusammen mit seinem Ifo-Institut, daß nun »markträumende« Löhne, also im Klartext Löhne, von denen man seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann, für die Unternehmen möglich werden sollen, und daß die Differenz, die zwischen dem »markträumenden« Lohn und dem, was man zum Leben braucht, vom Staat ausgeglichen wird.

So weit die Theorie. Der zunächst augenfälligste Bruch ist, daß auf der einen Seite die Regulierung durch den Staat durch die Neoklassiker zwar abgelehnt wird, auf der anderen Seite aber doch der Staat in diesem Fall die zu niedrigen Löhne ausgleichen darf. Hans-Werner Sinn behauptet, daß dies kostenneutral möglich sei, weil ja die Notwendigkeit der Zahlung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe entfalle. Gleichzeitig wird in diesem Konzept jedoch gefordert, daß ein ganzer Niedriglohnsektor eingeführt werden soll, der staatlich gestützt wird, mit anderen Worten: Nicht nur derzeit arbeitslose Menschen sollen in diesen Niedriglohnsektor gedrängt werden, sondern es sollen auch weitere Arbeitsplätze in diesem Bereich geschaffen werden.

Daß sich diese Geschichte wirklich kostenneutral selbst finanzieren wird durch den Wegfall von Arbeitslosenhilfe darf bezweifelt werden, insbesondere wenn man in Betracht zieht, daß der neue Niedriglohnsektor, der Sinn vorschwebt, sich ausweiten und dem Staat immer höhere Kosten verursachen wird, denn entgegen der Vermutung Sinns, daß die Löhne von selbst wieder steigen werden, wenn Vollbeschäftigung über den Niedriglohnsektor erreicht und die Arbeitskräfte hier wieder knapp werden, zeigt schon die heutige Arbeitskräftepolitik der Unternehmen, was die Antwort darauf sein wird: Auslagerung in Billiglohnländer und nicht die Schaffung neuer Arbeitsplätze in Deutschland.

Es stellt sich also zum einen die Frage, wie das Konzept finanziert werden soll, welche Steuern und damit welche Bevölkerungsgruppen dafür herhalten sollen, welchen Beitrag die Unternehmen leisten sollen, die hiervon profitieren und wie verhindert werden soll, daß diese Subventionspolitik zu einer Ausweitung des Niedriglohnbereiches im Grenzbereich dieser Lohngruppen führt.

Letzteres Problem soll anhand eines einfachen Beispiels plastisch gemacht werden: Nehmen wir an, wir kommen im Rahmen der Diskussion über dieses Konzept überein, daß zu einem menschenwürdigen Leben ein Gehalt von € 1000,- pro Monat notwendig ist. Arbeitgeber A beschäftigt mehrere Mitarbeiter, denen er direkt einen Lohn von € 1000,- zahlt, Arbeitgeber B beschäftigt ebenfalls Angestellte, denen er jedoch nur einen Lohn von € 600,- zahlt, wobei der Staat € 400,- zuschießt um den Arbeitnehmern ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Arbeitgeber A wäre doch mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn er seinen Arbeitnehmern den Lohn im Anschluß an dieses Konzept nicht auch auf € 600,- senken würde, um vom staatlichen Zuschuß zu profitieren.

De facto kommt darüber hinaus dieser Lohnzuschuß nur vordergründig den Arbeitnehmern zugute, tatsächlich spart er Lohnkosten für die Arbeitgeber, die in der Form zusätzlicher Einnahmen, beziehungsweise eingesparter Lohnkosten von diesem Modell profitieren. Was denn nun eigentlich, wenn ein Unternehmen, welches Gewinne macht, sich gleichzeitig die Arbeitnehmer auf diese Weise bezahlen läßt? Hans-Werner Sinns Antwort auf diese Frage lief kürzlich auf n-tv: Das ist gewollt! Arbeitgeber sollen Gewinne machen, weil sie mit diesen Gewinnen Arbeitsplätze schaffen würden.

Zwar ist die Behauptung, daß höhere Gewinne zur Schaffung von Arbeitsplätzen führe, in den letzten Jahren durch verschiedene Firmen, die gerade und trotz Gewinnen eher noch Arbeitsplätze abgebaut haben, damit der Gewinn noch mehr steigt, widerlegt worden, doch dies ficht Hans-Werner Sinn offenkundig nicht an.

Bleibt also noch die Frage nach der Finanzierung dieses Modells. Zu dieser Frage lassen sich Hans-Werner Sinn und sein Ifo-Institut nicht weiter ein, weil sie der Überzeugung sind, daß sich dieses Projekt durch den Wegfall von Arbeitslosen- und Sozialhilfe selbst finanziere. Im übrigen war vor nicht allzu vielen Jahren schon einmal ein Politiker der Auffassung der Öffentlichkeit erzählen zu sollen, daß sich ein ganz bestimmtes politisches Projekt selbst finanziere und deshalb niemand auf etwas verzichten müsse. Das schöne Märchen endete seinerzeit in der größten Wählertäuschung der Geschichte der Bundesrepublik, als nach den Bundestagswahlen 1990 die Regierung Kohl entgegen ihrer Versprechungen massiv Steuern und Abgaben erhöhen mußten.

Warum eignet sich das Beispiel der deutschen Einheit so sehr zum Vergleich mit dem Versprechen Hans-Werner Sinns, daß sein Modell kostenneutral sei? Im Rahmen der Finanzierung der deutschen Einheit - und das wird von den neoklassischen Eliten gerne verschwiegen - wurden insbesondere die abhängig Beschäftigten und ihre Arbeitgeber belastet, weil die Einheit wesentlich über die Sozialversicherungen finanziert wurden, darüber hinaus über Verbrauchssteuern, die wiederum vor allem die kleinen und mittleren Einkommen und damit den Konsum in Deutschland belastet haben.

Es steht zu befürchten, daß die Zeche des Kombilohn-Modells einmal mehr die Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen bezahlen müssen, zumal sich Hans-Werner Sinn geradezu ausdrücklich wünscht, daß die Unternehmen im Rahmen dieses Modells (noch mehr) Gewinne machen. Also werden er und die Anhänger dieses Modells ganz gewiß nicht jene Gewinne, die aus diesem Modell resultieren, besteuern, um damit wenigstens auch jene heranzuziehen, die von diesem Modell profitieren.

Abgesehen davon ist die Schaffung eines Niedriglohnsektors auch deshalb nicht wünschenswert, weil wir in Deutschland ohnehin schon seit Jahren eine sinkende Nachfrage haben, die auch damit zusammenhängt, daß die Gewerkschaften im Gegensatz zu Sinns Behauptung eben nicht unangemessene Lohnsteigerungen durchsetzen konnten, sondern es im Gegenteil Reallohnverluste gegeben hat. Mit dem Niedriglohnsektor die Nachfrage in Deutschland noch weiter absenken zu wollen ist angesichts der Profite, die zahlreiche Unternehmen machen, nicht gerechtfertigt.

Fassen wir also die Argumente gegen das Kombilohn-Modell zusammen: Das Modell folgt einer neoklassischen Wirtschaftstheorie, die die Lebenswirklichkeit der Menschen ausblendet, die Arbeit suchen, die Finanzierung dieses Modells ist ebenso unklar wie Strategie, mit der Mitnahmeeffekte gerade in den angrenzenden Lohngruppen durch Arbeitgeber verhindert werden sollen. Unklar ist auch, wie bei Vollbeschäftigung durch den Niedriglohnsektor eine Steigerung der Löhne entsprechend der Prophezeihungen Sinns stattfinden soll, wenn die Alternative für die Unternehmen nach wie vor lautet, in Billiglohnländer auszuwandern. Die Festigung dieses Niedriglohnsektors auf Dauer und mehr Druck auf höhere Löhne sind die absehbaren Folgen. Deshalb wird dieses Modell zu einer Verschärfung des Abstandes zwischen Arm und Reich in Deutschland führen, sowie zu einer breiten gesellschaftlichen Gruppe von arbeitenden Armen (working poor).

Ein solches Modell, welches die Konsumnachfrage der privaten Haushalte weiter schwächt, löst die Probleme in Deutschland nicht sondern verschärft sie und ist deshalb abzulehnen.

© Udo Ehrich 28.01.2006